Komm! Kauf Deine Seele rein.

Der einzige Weg zur gesunden Umwelt ist der Verzicht. Daran besteht kein Zweifel. Wer nichts kauft, verbraucht keine Ressourcen und macht auch keinen Dreck. Glück versprechende Marketingkonzepte machen uns den Verzicht nicht einfach. Platon hatte einen besonderen Anspruch an den Begriff des Glücks. Glück war für ihn – unabhängig von materiellen und äußeren Dingen – nur in sich selbst zu finden. Seine These: Glücklich ist, wer moralisch handelt. Das würde bedeuten, dass Glück und Moral miteinander verknüpft sind.

Der Kauf von nachhaltigen Produkten, so scheint es, ermöglicht uns den Zugang zum doppelten Glück. Einmal durch die scheinbar getätigte moralische Handlung, die uns der Kauf von achtsamen Produkten verspricht. Dazu kommt das Glück, das wir in uns empfinden, wenn wir uns über ihren Erwerb freuen. Daraus ergibt sich eine Pseudomoral, die zu Problemen führt:
Erstens: Produkte, die mit dem Etikett „nachhaltig“ daherkommen, lassen uns beim Kauf gut fühlen. Dabei vergessen wir, dass der Kauf in vielen Fällen überflüssig ist.
Zweitens: Der Zweck „Nachhaltigkeit“ heiligt sehr häufig die Mittel ihrer Produktion. Das Problem ist: Nur weil grün drauf steht, ist es noch lange nicht drin. Und nur weil reißerische Marketingkonzepte versprechen, dass man Gutes tut, ist das nicht die Wahrheit.

Wer achtsam kauft, wird glücklich und von Schuld und Sünde befreit? Die Markenstrategien von „Green-Luxury-Produkten“ betreiben modernen Ablasshandel. Wer kauft, ist glücklich im Diesseits und wer viel bezahlt für das Green-Label, bleibt es sogar bis ins Jenseits. Dabei wird die Sehnsucht des Menschen nach Reduktion und die Suche nach Glück im Inneren missbraucht. Wie schön ist es, wenn man sich naiv darauf verlässt, dass das, was vorgegeben wird auch drin steckt. Es ist besonders verlockend es dabei zu belassen und sich über die Zugehörigkeit zu anderen „Vernünftigen“ zu freuen. Nur wie vernünftig ist es wirklich, wenn man sich auf etwas verlässt, das offensichtlich nicht stimmt? Vernünftig zu handeln gibt vor, dass man reflektiert und nicht nur auf sich selbst bezogen handelt, sich also von sich und seinen gierigen Sehnsüchten distanziert und einmal (zumindest ganz kurz) versucht, an alle zu denken.

Anspruchsvolle Ästhetik, hohe Qualität und faire Produktion ist, was ein nachhaltiges Produkt ausmacht. Kein Luxussegment in der gehobenen Preisklasse kann es aus ethischer Sicht vertreten, nicht fair und nachhaltig zu produzieren und kein Konsument, der in diesem Segment sein Vermögen investiert, kann es verantworten, nicht genau nachgefragt zu haben, wo und wie diese Produkte erzeugt werden. Allgemein gilt: Wer kauft, ist mitverantwortlich, egal ob billig oder teuer. Erst wenn der Konsument es wahrhaftig fordert, einzusehen, wie es zum Siegel der Nachhaltigkeit gekommen ist, wird scheinheilige Nachhaltigkeit wieder zur Moralität und nicht bloß zur gut bezahlten Sitte. Wenn eine Marke ihre ethische Verantwortung nicht ernst nimmt, dann ist sie dem Luxussegment nicht mehr länger gewachsen. Ethisch korrekte Produktion muss zur Pflicht für alle Hersteller werden, alles andere ist Geplänkel. So tun als ob liefert nicht, was es uns verspricht: Glück für mich und Nachhaltigkeit für die Welt!

Ausstrahlung: Eine weise Form von Schönheit, die uns selbst überlassen ist

Die Idee, dass das Alter die Ausstrahlung potenziert, befreit vom Zwang, die Schönheit wie ein rohes Ei zu behandeln. Mag sein, dass es gelingt, sich partienweise gegen die Schwerkraft des Alterns zu stemmen, doch gelingt es uns niemals von außen an unsere Essenz – die Quelle der Ausstrahlung – zu gelangen.

Wer strahlt, dreht die Kurbel in sich. Diese Betätigung ist eine aktive Haltung zu sich selbst und kein passives Verweilen. Die Kurbel lässt sich dabei nicht animieren wie die Eitelkeit im Fitnessclub. Sie ist sensibel und komplex. 

Haltung zu bewahren ist eine Disziplin. Sie fordert das Bei-sich-bleiben sowie das Sich-in-die-Zukunft-gestalten: „Der Mensch ist nur, indem er sich selbst erwählt; wenn er es ablehnt, sich zu erwählen, vernichtet er sich.“ (De Beauvoir. Drei Essays. 1939-1941: 226)

Wer glaubt, er könne sich ohne Turbulenzen konstant am „Strahlen“ halten – so denke ich – der irrt. Ohne Melancholie keine Euphorie. Kein natürliches Wesen ist je konstant. Die Natur in uns ist so launisch, wie die Natur die uns umgibt: Mal ist sie extravagant üppig. Mal ist sie das alles nicht. Konstant ist das Regelwerk um uns herum und die langweiligsten Menschen der Welt. Sie bleiben nämlich konstant erschöpft, frustriert und auf der Stelle.

Ohne ehrliche Haltung gegenüber sich selbst wird man lasch, fahl und müde. Die Essenz – um die sich alles dreht – zeigt sich in unserem natürlichsten Kern: Dem unberechenbaren, hochfrequentierten Marktplatz unseres Lebens. Das könnte also bedeuten: Nicht von außen kaschieren, sondern den Kern geduldig veredeln, um der wilden Ausstrahlung eine Öffnung statt ein Ende zu weisen.

Ohne Dich ist ALLES nichts!

Ist Euphorie der Anfang vom Nichts? Oder das Ende von Allem?

Du bist
der erste angewärmte Tag im Jahr
hochkonzentriert
unverdünnt tödlich
wie frischverliebt
überschwänglich
ein inniger Schluck Rotwein
unverhältnismäßig
pure Lebensfreude
das Hochgefühl
die intensivste Sequenz
ein Schleusenöffner „rein ins Leben“
überlebensnotwendig
leichtflüchtig
angstfrei

Du sagst: Geht nicht, gibt es nicht!

Du
isst bio – spritzt Botox
wählst Obama – dann Trump
fährst SUV – und tust (so als ob) grün
benutzt Pinterest – und machst es Dir am liebsten selbst
gehst nur aufs Ganze
glaubst an Dich

Bist Du weg, ist ALLES nichts!

Du bist
süchtig nach mehr
wie Brainstorming ohne Konsequenzen
die Synergie mit dem Größten
unverschämt utopisch
kurzsichtig grenzenlos
nie verantwortlich
alleine gut genug
lieber hysterisch
ein Hype des Herzens
die Essenz im Ursprung
der Auftakt zu Neuem

Tauchst Du auf, ist erst der Anfang!

Ohne Dich
hätte nichts begonnen
hätten wir uns nie getraut

Dir ist
Marie Kondō egal
Askese fremd
das Altern wurscht

Wer Dich nicht fühlt ist tot.
Wer glaubt es ging ohne Dich, verzichtet auf das Leben.

Du bist der Anfang von ALLEM!
Bleib, sonst ist wieder ALLES nichts…

Frei Frausein

Ist Emanzipation eine männliche Angelegenheit? Oder braucht es mehr Weiblichkeit, um Gleichberechtigung leben zu können?

Frauen sind nicht frei, solange sie männlich agieren – im Job, zuhause und in der Liebe. Eifrig, eisig und taktierend. Männliche Marschrouten physisch wie psychisch zu imitieren, wird uns nicht dort hinbringen, wo wir frei Frau sind.

Über einige Jahrzehnte hat sich der Trainingsplan zur erfolgreichen Frau an den Männern orientiert.
 Die 70er und 80er haben ein taffes Frauenbild hervorgebracht. Frauen, die alles anders machen wollten als ihre angepassten Hausfrauenmütter.
Der maskuline Gang für Frauen hat sich eines Tages als Liebestöter enttarnt und wurde somit zum Eigentor.

Anfang der 2000er haben vier New Yorkerinnen in Sex and the City das Frauenbild radikal auf den Kopf gestellt. „I will not be judged by you or society. I will wear whatever and blow whomever I want as long as I can breathe and kneel.“ (Kim Cattrall als Samantha Jones in SATC, Covergirl). Für die einen war es vulgär, für die anderen ein revolutionärer Weiblichkeitsbooster.  Auch wenn ihr Lifestyle absolut abgehoben war, haben diese Frauenrollen großzügigen Glamour und unglaublich viel Weiblichkeit in vielen Frauen reanimiert.

Ab sofort ermächtigen sich Frauen größeren Dimensionen – im Job und auch zuhause. Während sich Männer jeher bombastisch in Szene gesetzt und protzig aufdrapiert haben, sind begabte Frauen daneben bescheiden klein geblieben.
 Heute ist Schluss mit dem Mitleidsinvestment und der Kulissenschieberei. Frauen spüren, dass die Resonanz mit sich selbst die ehrliche Basis für Gleichberechtigung ist und entscheiden sich für eine selbstkuratierte Lebesnform.

„Nur wenn die Frau in die Potenz findet, kann sie Autonomie nicht nur einfordern, sondern auch leben.“ (Svenja Flaßpöhler) 

Literaturpreise, Ausstellungen, Sendeprogramme, Artikel, Magazine, etc. … werden heute Frauen weltweit gewidmet. Nicht weil wir anders gesehen werden, sondern weil wir uns endlich gegenseitig bestärken. Wir erzählen unsere Geschichten aus weiblicher Perspektive. Von Frau zu Frau. Von Frau über Frau. Von Frau in die Welt.

Im Geschlechterlabyrinth sortieren sich die Rollen noch neu. Rückfälle, Krisen und Trotzanfälle beengen den Weg zur Gleichberechtigung. Durchhalten lohnt sich! Wenn nicht für uns, dann für unsere Nachkommen. Irgendwann wird aus einem verunsicherten Durchlaufposten ein logischer und gegenseitig bestärkender Kurs.

Frausein ist eine kraftvolle Mehrheit, die man aus Angst und fehlendem Respekt gern klein gehalten hat. Statt uns alle heiligen Zeiten wie ein exzentrisches Tier im Zoo vorführen zu lassen, regeln wir die Performance heute selbst. Offensiv und vornehm selbstverliebt. Das „hinter einem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau“- Prinzip hat ausgedient. Jetzt heißt es: „Selber machen meine Herren: Wir sind beschäftigt!“

 

 

Radikal resignieren

„LASS LOS!“ ruft es aus allen Richtungen. Als wäre es das Allheilmittel für und gegen alles. Eines Tages werden wir immun sein und einfach resignieren. Trotzig.
Wie ein kleines Kind.

Ist resignieren der richtige Impuls, um loszulassen? Loslassen funktioniert nicht auf Kommando. Resignieren schon.

Loslassen ist ein komplexer Prozess, indem man sich sich selbst stellt – Schritt für Schritt, Schicht um Schicht, destillieren, neu fusionieren – und irgendwann nichts erwartend doch verdammt nochmal loslassen wird.

Noch viele werden sich auf der Suche nach innerer Freiheit die Füße auf dem Jakobsweg wund laufen, sich beim 1000sten Sonnengruß einen Bandscheibenvorfall einfangen (ich übrigens auch) oder fünf weitere Knirschschienen durchraspeln.

Selbst das beliebte Smoothiemaker-Prinzip wird dabei endgültig versagen. Rein mit den Anforderungen, wegmixen und was raus kommt ist stuhllockernd, aufpushend oder beruhigend. Fokussierend und effizient. Macht für immer frei, fit, geil und „natürlich schön“ überhaupt.

Solange hinter dem Loslassen – „Wenn ich erst einmal habe, dann darf ich sein“ – schlummert, wird sich der Krampf nicht lösen.

Zeit, sich zu fragen: Für wen verfolge ich mein Lebensziel überhaupt? Kann ich es kaum erwarten, dort angekommen zu sein oder habe ich Angst es zu erreichen? Keine Intensität ohne Risiko! (Anne Dufourmantelle, Buch: Lob des Risikos)

Radikal resignieren und freigeben was loslässt.

 

Absofuckinglutely!

Das Leben ist nicht absolut? Ist das Leben absolut?
Es gibt immer wieder eine Möglichkeit sich anders zu entscheiden. Ein Zurück gibt es jedoch nie. Man kann auf ein Backup zurückgreifen, aber nicht auf sein altes Leben.

Der Freipass, sich bei allen Entscheidungen ein Hintertürchen offen zu halten, beruhigt. Doch was löst dieses Denken in uns aus? Wie tief verwurzeln wir uns mit unserem Leben? Wo setzen wir Prioritäten und wo verankern wir uns? Wie verantwortungsbewusst gehen wir mit uns und anderen um?
Entscheidungen, Ehen, Beziehungen, Verträge, … können revidiert werden. Wege neu eingeschlagen. Reset. Apfel+z. 

Wir sind gejagt von der unersättlichen Gier besser, höher, weiter zu springen. Eine Hetzerei nach optimalsten Bedingungen. Dauerunglücklich darüber den absoluten Moment zu verpassen. Wie anstrengend so ein gieriges Leben sein kann. Nichts brennt mehr aus, als die unendliche Sehnsucht nach Besserem. Endlose Sehnsucht hält davon ab, absolut hier zu sein. Und wer nicht hier ist, ist nicht lebendig. Der kritische Rückblick ist genauso wichtig wie der hoffnungsvolle Blick nach vorne. Doch wer permanent auf der Suche nach dem schönsten Ort, dem richtigen Job, der perfekten Beziehung, dem kreativsten Moment, dem billigsten Angebot ist… hält sich davon ab, in die Vollen zu gehen. Unsere unersättliche und unverbindliche Lebensform macht uns müde.  Einerseits können wir uns vor lauter Unverbindlichkeit auf nichts und niemanden verlassen (nicht einmal auf uns selbst) und andererseits trauen wir uns nicht auf die Qual der Wahl zu verzichten. Eine verzweifelte Co-Abhängigkeit.

Wären absolute Entscheidungen nicht eine große Stütze, um gelassener zu werden? Unverbindlich durchs Leben zu gehen, bedeutet nicht nur Freiheit, es verlangt auch maximale Flexibilität, permanente Veränderungsfreudigkeit und dadurch Unsicherheiten auszuhalten. Das Leben ist in unserer Versicherungsgesellschaft aber nicht besonders risikofreudig. Dabei ist uns nicht einmal das Älterwerden gewiss, wie wir uns davor fürchten.

Wer hält ihn noch aus, den freien Fall ins Ungewisse? Wer setzt heute noch alles auf eine Karte? All-in reservieren wir doch nur, wenn uns damit eine maximale Flatrate garantiert wird.

Absolute Lebensentscheidungen trifft man aus einem 360-Grad-Blick seiner Lebenserfahrungen heraus. Der Brennpunkt dieser Entscheidung ist dort, wo die Hebelwirkung auf das Leben am größten ist. Was bedeuten würde: Entscheidungen mit Eigenverantwortung und allen Konsequenzen zu treffen. In guten wie in schlechten Zeiten…

Aushalten, sein lassen, zu sich finden, weitermachen, …

Absolut zu sein ist mutig. Wenn wir uns nicht festlegen, bleiben uns viele Möglichkeiten offen. Doch wo kommen wir hin, wenn wir unseren inneren Konflikten unaufhörlich nachgeben?
Dinge wiederholen sich. In Beziehungen. Im Geschäft… wie man so schön sagt: „Seinen eigenen Arsch hat man überall mit dabei“. Wenn wir uns unseren Verkrampfungen stellen und sie durchschauen, werden wir uns mit absoluten Entscheidungen für unser Leben leichter tun. Sich freimachen von Zwängen, Erziehungsmustern, Vorfahren, Eitelkeiten … Man würde ganzheitlicher voran gehen, ohne ständig die selben Konflikte zu umschiffen.

Wie intensiv leben wir, wenn es keine lebenslangen Absichten gibt? Ein Straucheln von Option zu Kompensation und wieder zurück. Navigiert von der Illusion irgendwann im Paradies zu landen. Übrigens: Bei welcher Religion sind Sie versichert?
Wach Verantwortung zu übernehmen, statt leise auf die flauschigste Option zu hoffen… und dabei verwirrt auf der Strecke zu bleiben. Das Drama schlägt so spontan zu wie das Glück… Und: Was danach kommt ist und bleibt pure Spekulation. Worauf Sie wetten können!

Das Höflichkeitstourette-Syndrom

Alles gut. Gar kein Thema. Sehr, sehr gerne… Sie können sie auch nicht mehr hören, die sprachlichen Helden unseres Alltags?

Manchmal scheint es, als würde sich alles nach einer Dramaturgie abspielen – im Leben, im Laden, im Business… manchmal sogar in Freundschaften.

Kennen Sie das: Sie erstarren innerlich und geraten in einen zerreissenden Gewissenskonflikt, weil sich Ihr Gegenüber über jemanden, den sie schätzen, abwertend äußert oder Sie politisch plump in Verlegenheit bringt?
Das nennt man verbale Nötigung. Eindeutig Übergriffig. Zum „Me too“-schreien. Aber man hält den Mund, weil man vor lauter antrainierter Höflichkeit (oder weil man dem Partner das Geschäft nicht versauen darf) verstummt. Immer hübsch Contenance bewahren, so hat man es gelernt – ich übrigens auch.

Wir pudern uns gegenseitig die Hintern. Wollen uns nicht weh tun. Geschäfte laufen glatt oder gar nicht. Freunde und Partner werden gewechselt, wenns mal heiß hergeht. Das Leben, eine hysterischgeile Marketingstrategie.

Woher kommt es, dass wir beschwichtigen und in Deckung gehen, sobald Gegenwind droht? Wer heute ungefiltert gerade raus ist, wird als naiv abgestempelt. Um sich und sein Tun schön darzustellen, verlernen wir mit Respekt und Stil dagegen zu sein, Disharmonie auszuhalten UND sich dabei elegant und konkret auszudrücken. Eine Hutschiguccigesellschaft, die zu anständig geworden ist, um verantwortungsbewusst Farbe zu bekennen.

Wo bleiben die Launen? Darf man nicht spontan seine Meinung ändern, zur Diskussion anregen, provozieren, austesten, sich spielerisch aneinander reiben, … ?
Eine sehr erfrischend freche Freundin wurde unlängst mit den Worten: „Musst du denn immer so radikal diskutieren“? gestoppt. Angeregte Gespräche sind eine Chance, geistig in Form zu bleiben. Diskussion bedeutet unterschiedliche Meinungen auszutauschen, sich vom anderen überzeugen zu lassen – oder eben nicht, neue Denkmuster mit seinen zu verstricken, Stellung zu beziehen, Perspektiven zu wechseln, …. „Wenn es um Bestätigung statt um Erkenntnis geht, erzielen wir eine geistige Kreislaufwirtschaft sozusagen.“ (Wolf Lotter/brand eins, 10.2018)

Schon mal erlebt: Sie nehmen Platz in einem der urbanen Hotspotrestaurants und werden behandelt, als hätten sie sich verirrt. Sie müssen sich quasi um die Höflichkeit der Bedienung anbiedern und trauen sich nicht aufzustehen und zu sagen: Sag mal gehts noch? ICH BIN HIER DER GAST!
„Mit dem ARSCH ins Gesicht!“, hat einmal eine Verlagskollegin vor versammelter Mannschaft in die Runde geworfen. Nach kurzem Vakuum folgte Austausch auf Augenhöhe.

Frech zu sein hat Konsequenzen. Wer brav ist, lebt unkompliziert und konventionell erfolgreicher. Das lernen wir schon früh im Leben. Vielleicht sollten wir uns weniger mit dem Ausbügeln von Eigenheiten in der Erziehung beschäftigen und dafür unkontrollierte, kindliche Frechheiten fördern. Weniger hopp-hopp-hopp… Mehr ich-bin-ich…
Wer an Privilegiertem rüttelt, bekommt Gegenwind. Nicht immer kann man sich dann davonmeditieren. Manchmal muss man es dem Gegenüber klar und deutlich machen. Im hier und jetzt. Weniger Realpolitik. Mehr Courage.

Aggressive Eitelkeit und unberechenbare Angstmacherei gilt für manche als Vorrecht für freie Meinungsäußerung. Traurig aber erfolgreich. Zum Glück dürfen wir zeitgleich erleben, dass Minderheiten und Künstler(innen) wie Christine and the Queens (heute Chris) die Welt mit großem Erfolg bunter machen. 

Authentische Lebendigkeit ist der Kraftstoff für Charisma – die wohl strahlendste Ausdrucksweise von Menschlichkeit.

Ich werde in Zukunft wieder darauf achten, frecher und unkontrollierter zu agieren. Besser verantwortungsbewusst vorlaut, als hübsch höflich!

Das Birkenstockphänomen

Unlängst bin ich durch die Salzburger Innenstadt flaniert. Salzburg, für mich der Inbegriff für Stil, Qualität, Schönes, … und vor allem gut gekleidete Menschen. Schick, als würden sie sich für ihren Auftritt auf der Salzburgbühne herausputzen. Kein Outfit war zu schade, um es für triviale Erledigungen in die Stadt auszuführen.

Dieses Mal war mein Eindruck ganz ein anderer. Die Leute passten sich mit ihrer Kleidung den Würstelbudenkonvois in der Altstadt an. Jogginghose, Selfie-Stangen und Birkenstock waren die Accessoires des Sommers.

Seit wann schickt es sich überall Birkenstock zu tragen?
Als ich klein war, waren meine Eltern sehr dahinter, dass wir nicht schlampig daherkommen. Den Gesundheitsklassiker trug man zu Hause (eigentlich auch nur ein spezielles Klientel), um seinen Füßen etwas Gutes zu tun. Aber ganz ehrlich, ich fand die nie so schön. Wer mit solchen Schlappen zum Einkaufen ging, wurde gedanklich als schmuddelig abgetan.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Hipster-Treter für fast alle Outfits etabliert. Jeder trägt zu jedem Anlass seine Birkenstock und andere Artgenossen spazieren. Mal mehr mal weniger intelligent kombiniert. Jedenfalls liegt man damit – scheint es – fast nie falsch.

Vielleicht weil heute alles schnell gehen muss, man sich Schuhe nur im Vorbeigehen anzieht und flapsig kommuniziert – ich übrigens auch.
Weil Stars wie Heidi Klum sich seit mehr als 10 Jahren ständig damit blicken lassen. Und weil sogar Luxusbrands wie Celine ihre Models mit derben Hausschlappen über den Laufsteg schicken… 

Oder ist es die Sehnsucht nach Reduktion?
Mag wohl sein, dass wir damit Verzicht und kollektive Vernunft zum Ausdruck bringen wollen… aber jetzt halten wir kurz inne, bevor wir nachhalten: Es ist und bleibt ein Hauspatschen mit dem wir auf allen Hochzeiten tanzen. Und soweit mir bisher bekannt ist, wirbt Frau Klum für wenig nachhaltige Produkte und verzichtet auf nichts außer auf Kohlenhydrate.

Trauen wir uns denn keinen eigenen Stil zu?
Viele unschuldige, fast neue und bezaubernde Schuhe mussten die letzten Sommer in dunklen Schränken verbringen, weil es uns zu mühsam war sie auszuwählen, anzuziehen und in ein Outfit zu integrieren. Ich vermisse die Leidenschaft für individuelle Outfits, getragen mit innerer Haltung, ausgesucht nach Lust und Laune, zu Ende gedacht bis zu den Schuhen. Sich aufmöbeln, rausputzen, rausbrezeln, aufmascheln, … Es gäbe so viele Nuancen in denen man sich ausdrücken könnte. Elegant, sportlich, laut, leise, gut gelaunt, genervt, offen, liebevoll, verliebt … 

Was ist mit uns hier und jetzt und in Wirklichkeit?
Kleidung zeigt den Respekt vor sich selbst und vor anderen. Sie umrahmt unsere Persönlichkeit und richtet bei unserem Gegenüber etwas an. Wir reagieren auf Qualität mit Stil genauso wie auf Ramsch. Wenn wir alle nur noch unisex und bequem daherkommen, dann wird Eleganz, Anstand, innere Haltung und Stil verloren gehen. Der Mensch passt sich seiner Umgebung an… Gut Ding braucht Weil… Großartige Projekte und gute Ideen mit Qualität wachsen und nähren sich durch die vielen Gedankenschichten die sie durchlaufen…

Ich finde wir lassen uns gehen. Für Selfies im Netz ist den meisten kein Aufwand zu schade. Es wird Zeit, sich wieder etwas mehr zu bemühen, anstatt zu glauben, man könnte sich davonschleichen ohne wahrgenommen zu werden. Da draußen vor der Haustür ist unsere gemeinsame Wirklichkeit. Unsere Gesellschaft. Eine Spielwiese mit lauter Individualisten, die es gern haben, wenn man sie eben nicht flapsig abfertigt.

Ein Hoch auf die Attitüde!